Zwischen den Zeiten

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Ich habe mein neues Quartier in Sepia fotografiert. Irgendwie erscheint mir das passend, auch wenn mein Computer auf dem Tisch steht. Ich fühle mich hier irgendwie zwischen den Zeiten. In den 20er Jahren kaufte das Kunstmaler-Paar Wedel/Wedel-Kükenthal das Haus in dem ich jetzt wohne, und baute es für seine Zwecke um. Sie sind immer noch so stark präsent! Edith Wedel-Kükenthal war eine der ersten Frauen, die Kunst studiert haben, sagte mir ihre Enkelin Eva Wedel, die das Haus in unglaublichem Arbeitsaufwand saniert und erhalten hat.

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Die alten Räume mit viel Holz riechen gut nach Farben. Der Blick aus der Fensterreihe im Atelier von Hans Dieter Wedel, Sohn des Künstlerpaares, jetzt für 4 Wochen mein Atelier, welche Ehre! Die alten Möbel, die knarrenden Dielen, und natürlich die Bilder an den Wänden, das alles verzaubert mich und regt meine Fantasie an. Das Haus erinnert mich an die Künstlerhäuser der gleichen Zeit auf Hiddensee, wo ich mehrmals zum Malen war.

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Das kleine Dorf hoch oben auf dem Berg wirkt wie der Welt entrückt mit seinen alten, meist liebevoll in Stand gehaltenen Häusern. Ein Mann, Reinhard Mayer, hat die Geschichte von jedem einzelnen in einem dicken Buch festgehalten: „Vom Weiler zum Stadtteil – 400 Jahre Burgfelden“, mit vielen Fotos, ein Schatz! Kaum Verkehr, umgebende Wiesen und Wälder, ein weiter, weiter Blick, es ist ein Gefühl wie Ferien haben, auch wenn ich natürlich arbeite. Ich weiß, da unten im Tal ist irgendwo die Welt, laut, hektisch, konsumorientiert. Ich weiß, dass die Menschen auch hier ihren Alltag haben, ihre Probleme wie überall. Aber das Gefühl des Verzaubertseins, des aus der Zeit gefallen Seins, es ist stark. Mir wurde vorhergesagt, dass Burgfelden ein magischer Ort sei. Ich möchte mich seinem Bann auch gar nicht entziehen.

Umzug nach Burgfelden

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Ava Smitmans am Ende Ihres Laufen-Aufenthaltes mit dort entstandenen Bildern (Foto: Anett Frey)

Mein Aufenthalt in Laufen ist nun zu Ende gegangen. Ich bedanke mich noch einmal ganz herzlich bei der Familie Garcia Segura, dass sie ihr Haus mit mir geteilt haben, für die schöne Zeit mit Gesprächen über die Ortsgeschichte, mit künstlerischem Austausch und gemeinsamen Unternehmungen!

Am 27. Juni werde ich mein 6. temporäres Quartier im 5. Albstädter Stadtteil beziehen: Burgfelden.  Ich werde dort 4 Wochen, also bis zum 24. 7. im Haus „Zum Bergcafè“ wohnen, welches eine 100 jährige Tradition als „Künstlerhaus Wedel, Wedel-Kükenthal“ hat. Deshalb freue ich mich besonders auf diesen Aufenthalt, denn diese Umgebung wird sich mit Sicherheit inspirierend und doppelt motivierend auf meine Arbeit vor Ort auswirken. Vielen Dank schon jetzt an Eva Wedel, der Inhaberin des „Zum Bergcafé“!

Nach Absprache unter 0176-630 733 15 kann man mich gerne in meinem Wohnatelier überm Café besuchen.

Unter www.bergcafe-burgfelden.de Stichwort „Bilder“, kann man ein wenig über die Künstlergeschichte des Hauses nachlesen.

Einblicke

Ich habe beschlossen, den Innenräumen mehr Gewicht bei meiner Umsetzung in Bilder zu geben. Stattdessen lasse ich die kleinformatigen Stadtbilder, die ich anfangs noch gemalt hatte, weg.

Ich reagiere damit auf eine Entwicklung in meinem Projekt, die zunächst nicht absehbar war: Ich bekomme nicht nur meine Quartiere, sondern immer mehr Räume von innen zu Gesicht, und sie werden auch von AlbstädterInnen an mich herangetragen. Was ich sehr schön finde, denn der Austausch mit ihnen ist mir ja wichtig und wertvoll, er zeigt sich nun auf unverhoffte Weise, dem möchte ich Rechnung tragen.

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So konnte ich in den letzten Tagen einen wunderschönen alten Laufener Saal im Dornröschenschlaf besichtigen – früher fanden dort Tanzveranstaltungen statt, dann wurde der Raum zur Fertigung von Stühlen genutzt, derzeit dient er als Lager und Kinderspielplatz der HausmieterInnen. (Obere Bilder aufgenommen im Laufener Saal)

 

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Außerdem durfte ich in Begleitung des Ortsvorstehers und meiner Quartiergeberin die verlassenen Amtsstuben des alten, zum Abriss bestimmten Laufener Rathauses ins Visier meiner Kamera nehmen. (Bilder links und unten aufgenommen im Laufener Rathaus)

 

 

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Das Asylheim in Truchtelfingen war mir ein persönliches Anliegen. Wie leben die geflohenen Menschen in Albstadt? Ich erhielt berührende Einblicke und eine Tasse Chai mit Kardamon von einem Bewohner, süß und lecker. Die dort entstandenen Fotos habe ich nun als erste einer Reihe von Innenansichten umgesetzt:

Mischtechniken auf Papier, kleine Formate, der Intimität der Motive entsprechend, so werde ich den Räumen ihren Raum geben.

Und ich bin schon sehr gespannt auf weiter Albstädter Einblicke!

Von Riemen und Zahnrädern und dem Staunen

Als ich nach Laufen kam, fiel mir sehr schnell ein Gebäude ins Auge, das mich stark an ein Speicherhaus erinnerte, wie ich sie von Hamburg oder Lübeck kannte. Ein paar Tage später fragte ich dort nach, und durfte wieder einmal einen Blick in ein Gebäude der besonderen Art werfen: Eine Darre.

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Christian Schlegel und sein Sohn gaben mir eine ausführliche Führung, zeigten und erklärten mit Stolz die uralten Maschinen und Vorrichtungen, die seit Generationen in Betrieb sind, um Baumsamen zu gewinnen. Ich erfuhr von einer Maschine aus dem 19. Jahrhundert, die manchmal „ihre Tage hat“, von Treibriemen, die es nur noch in England gibt, lernte eine Windfege kennen, durfte die mehrstöckige Trocknungsanlage mit Ofen, Schienen und Eisenbahnwaggons besichtigen und Vieles mehr. Ich bin sehr beeindruckt. Von der Technik und von der Geschichte, die aus ihr spricht, und davon, dass man in der heutigen hochtechnisierten Zeit nahezu unverändert mit ihr arbeitet.

Albstadt-Eselsmühle-ZahnräderVor einiger Zeit durfte ich die Eselsmühle bei Ebingen besichtigen, dort ist das Mühlrad, das einst eine Säge antrieb, zerfallen, nur Reste der Übersetzung sind noch da, zwischen nassem Mauerwerk, schwer, rostig, unverwüstlich scheinend. Darüber wartet auf brüchigem Boden eine gusseiserne, zahnradreiche Apparatur zum Transport der Baumstämme, dass sie vielleicht nochmal eine Chance bekommt, ihre Stärke zu zeigen. Die dazugehörigen Wohnräume voller Erinnerungen, nun stehen sie leer.

Nach dem Betrieb von Rudi Loder im Herbst durfte ich nun in einem weiteren kleinen Textilbetrieb Rundstrickmaschinen fotographieren. Sie stammen teilweise noch aus den 50ern. Sie arbeiten immer noch. Dazwischenhängende Folien zum Abfangen der Fusseln geben dem Ganzen etwas noch Geheimnisvolleres als sowieso schon in den Apparaten liegt.

Man könnte fragen: Wieso bin ich nicht Maschinenbauerin oder sowas geworden, wenn mich Maschinen so faszinieren? Ich glaube, es hat seinen Sinn, dass sich meine Faszination anders ausdrückt. Der Inhaber der Textilfirma staunte über meine Ausrufe, wie schön seine Maschinen seien. So hatte er sie noch nie betrachtet. Erstaunen, das beiderseitig wirkt. Etwas bereichernderes kann man sich doch gar nicht vorstellen, oder?

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Mein Kunstprojekt ist ein wunderbarer Aufhänger um nachzufragen, Einblicke zu bekommen und ins Gespräch miteinander zu kommen. Die Menschen hier öffnen mir bereitwillig ihre Türen, zeigen mir ihre Räumlichkeiten, lassen mich fotographieren, sie erklären und erzählen. Dafür möchte ich an dieser Stelle auch einmal ganz herzlich Danke sagen!

Ohne Auto unterwegs in Albstadt

Mein alter VW-Bus ist in der Werkstatt. Also bin ich derzeit auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.

Tatsächlich lerne ich die Stadt auf diese Weise nochmal ganz neu kennen:

Ich erfahre, dass in Laufen immer mittwochs ein Gemüsestand vor der Kirche steht, dass ein Bäckerwagen und eine Eierfrau regelmäßig ihre Runden drehen (wann?). Ich gehe morgens um 8:00 Uhr zur Metzgerei und entdecke eine überraschend große Auswahl an Brötchen und Brot, dazu eine kleine Auswahl weiterer Lebensmittel neben der riesigen Fleisch-Auswahl. Ich verpasse meinen Zug nach Ebingen, und um die Zeit zu überbrücken, besuche ich den winzigen Schreibwaren-/Lottoladen in einer ehemaligen Bankfiliale nahe der Bahnstation, dort gibt es noch Typen für elektrische Schreibmaschinen! Ich fahre mit Bahn & Bus quer durch Albstadt, um mir in Onstmettingen ein angebotenes temporäres Quartier anzuschauen. Ich suche Bushaltestellen, treffe andere Menschen, warte, bekomme Gespräche der Mitfahrenden mit, sehe zu Fuß vertraut gewordene Ecken aus dem Bus neu, die Stadt aus dem Zug von oben. Ich fühle mich einerseits unbeholfener, andererseits mitten drin im Geschehen. Diese Erfahrung möchte ich nicht missen. Auch wenn ich mich frage, wie und wann ich an meine bestellten Fotos im Gewerbegebiet in Ebingen kommen werde. Größer Einkaufen fahre ich morgen mit meinen Quartiergebern, wahrscheinlich nach Balingen.

Mein nächstes Quartier wird ab Ende Juni Burgfelden sein, spätestens dann hoffe ich aber doch sehr, meinen Bus wieder zu haben.