Ein Bild entsteht

Die Ecke mit dem Zigaretten-Automat spricht mich an.

Dort prallen Gegensätze aufeinander. Links der moderne Zigaretten-Automat vor glatten, geraden Wänden, rechts die alte Hausecke mit bröckelndem Putz und roten Ziegeln, darin eine schiefhängende, geflickte Holztür.

Zeiten prallen aufeinander: Heute und gestern. Moderne und Verfall. Wann wurde das alte Haus gebaut? Geht noch jemand durch die Tür? Was ist dahinter? Als Außenstehende weiß ich über diesen Ort erstmal nichts. Ich kann mir Geschichten dazu ausdenken. Hat vor der Tür früher der Großvater in der Abendsonne seine Feierabendpfeife geraucht? Wer kommt heute zum Zigarettenholen? Kommen viele? Kommen welche dabei ins Gespräch? Ist schon jemand nicht mehr wieder heimgekommen? Wie oft wird der Anhänger benutzt? Wofür? Ein kleiner Haufen Müll an der Hausecke – eine menschliche Spur. Wer lebt hinter den glatten Wänden? Lebt es sich da gut?

Diese alltägliche Ecke finde ich so spannend, dass ich sie in ein Bild umsetzen möchte. Ich fotographiere sie.

Im Atelier nach der weißen Grundierung der Hartfaserplatte erst die skizzenhafte Aufteilung der Flächen mit wässriger Acrylfarbe. Erstes Anlegen der Farbflächen, links gleichmäßig mit breitem Pinsel, rechts krakelig-grob mit Ölkreide und herunterlaufender Acrylfarbe, den Hänger schnell mit wenigen Pinselstrichen und Farbflächen skizziert, den Boden kritzelig zerfurcht gepinselt. Bleistift-Flächen lege ich an, um Brüche zu erzeugen: die Linien des Bleistiftes verdichten sich, bleiben jedoch bewusst sichtbar, schaffen eine andere Ebene, weg vom Real-Abbildenden. Mal bedeuten sie Metall, mal Dunkelheit, mal schmutzige oder zerkratzte Fläche. In den folgenden Tagen findet ein kleiner Kampf statt: Viele Farbflächen werden immer wieder überarbeitet, zurechtgerückt, Schichten bilden sich, die Volumen, Patina, Geschichte erzeugen, atmen. Eine akkurat zugemalte Fläche wirkt kalt, steril, leblos. Den Automat male ich auf diese Weise, ohne zu viele Details. Im Gegensatz dazu habe ich die Wand und Tür des alten Hauses geritzt, gespachtelt und mit all meinen Mal- und Zeichenmaterialien wieder und wieder bearbeitet, am Schluss noch mit Wellpappe beklebt, die ich auch wieder bearbeitet habe. Dieser Bildteil soll leben, Geschichte ausstrahlen, Brüche, Materialität. Auch den Boden musste ich am Ende doch sehr detailreich mit seinen Steinchen und Gräsern ausführen. Er feiert dadurch fast altmeisterlich das Provisorische, Ungestaltete, Ursprüngliche.

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Ich schaue mein Bild an. Seltsam wirkt es erstmal, so unterschiedlich im Malstil. Aber das wollte ich ja eben, diese Gegensätze und Brüche herausarbeiten. Ich schaue weiter. Ich denke: Alles zugebaut, statisch, kein Ausweg. Nur der Hänger kann bewegt werden. Er kann eine Lücke hinterlassen. Es kann jemand an den Automat treten und Zigaretten ziehen. Vielleicht geht mal jemand durch die Tür? Wird das alte Gemäuer bleiben dürfen?

Ist meine Bildaussage gelungen? Ist sie vielschichtig genug? Ist sie zu platt? Das mag vielleicht auch auf die Betrachtenden ankommen, ob sie sich darin wiederfinden, getroffen fühlen oder überhaupt etwas damit anfangen können. Heute Abend bekomme ich Besuch von ein paar Albstädter FreundInnen. Ich bin gespannt, was sie zu dem Bild sagen. Ich bin gespannt auch, wie das Bild sich im Laufe der Zeit macht. Wird es einen Stellenwert inmitten meiner anderen Bilder haben? Dauerhaft haben? Wird es ausgestellt? Wie wird es dann wirken?

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