Unter den AusstellungsbesucherInnen in der Alten Kanzlei war auch die freundliche Mitarbeiterin des Maschenmuseums, die im Herbst zu mir gesagt hatte: „Frau Smitmans, ich muss Ihnen unbedingt was zeigen, das müssen Sie malen!“ Sie führte mich in den Hinterhof des Museums und erzählte, dass das Gebäude zur Straße dort abgerissen werden solle, und dass sie sich dafür einsetzten, wenigstens den Schornstein zu erhalten. Der Hof mit dem Schornsteinstumpf, aus dem Gestrüpp wächst, hat mich sofort begeistert, und ich habe ihn ins Bild umgesetzt. Die Freude der Besucherin, das Bild in der Alten Kanzlei zu sehen, war groß. Ein älterer Besucher erzählte mir von seiner Ausbildung, die er am Rande des Hofes gemacht hatte.
Ich habe in Tailfingen eine Reihe von fünf Bildern gemalt, die ich „Hinterhof mit Schornstein“ nenne, denn das ist mir als eine Besonderheit des Ortsteils aufgefallen: die Nähe von Wohnen und Arbeiten. Viele der alten Strukturen und besonderen architektonischen Konglomerate sind schon verloren gegangen. Ich plädiere dafür, die letzten dieser Art zu erhalten. Dieses Plädoyer habe ich auch immer wieder gehört, wenn ich mit AlbstädterInnen ins Gespräch kam. Alte Fotos wurden mir gezeigt, von Bauhaus-Architekten erzählt, die zur Hochzeit der Industrialisierung in Albstadt engagiert wurden, und deren Bauten späteren Modernisierungsbestrebungen weichen mussten. Im Ruhrgebiet sind sie mittlerweile stolz auf ihr Erbe. Auch darum musste erst gekämpft werden. Ein Ort hat seine Geschichte. Natürlich hat er sich immer verändert, das muss er auch, er muss sich neuen Erfordernissen anpassen. So wie hier die Industrialisierung die bäuerlichen Bauten in den Hintergrund gedrängt hat. Aber auch sie sind weiterhin dazwischen zu sehen und tragen dazu bei, die Geschichte des Ortes sichtbar zu machen. Nicht nur meiner Meinung nach wird hier zu viel abgerissen, wertvolle Substanz verschenkt, die man integrieren könnte/sollte.
Ich bemühe mich in der Zeit, die ich hier bin, eine kurze Zeitspanne der Stadtgeschichte in meinen Bildern festzuhalten. Dazu gehört auch Leerstehendes, Brachliegendes, Fabrikgebäude mit ungewisser Zukunft, Villen, die verfallen. Bilder leerstehender Gewerberäume zeugen von vergangenen Hoffnungen und Lebensplänen und deren Sterben, lassen die Geschäftigkeit der Menschen, die dort arbeiteten und die sie besuchten, erahnen, wecken Erinnerungen bei den BildbetrachterInnen, stimmen wehmütig, vielleicht nachdenklich. Heute noch lebendige Geschäfte können morgen schon leer stehen. Mir und anderen liebgewordene alte Häuser gibt es womöglich in einem halben Jahr nicht mehr. Das Thema ist ein Anliegen, seit ich mich in meiner Arbeit mit Städten und Orten beschäftige. Hier in Albstadt scheint es mir einmal wieder besonders dringlich.
Liebe Ava,
was für ein wunderbares Projekt dieser Ansatz zur Stadtgeschichte. Großartig! Und was für lesenswerte Texte hier im Blog!
Mein Vater hat fast sein ganzes Berufsleben in der Textilindustrie in Burladingen verbracht (nicht weit von Albstadt). Mit den alten Gebäuden verschwindet dort auch die Erinnerung, was für die Menschen die dort gearbeitet haben, sehr bitter sein kann.
Da Du ja nicht von „d’r Alb ra“ kommst, empfehle ich Dir das schöne Buch „Winterjahre“ von Manfred Mai, der in Winterlingen (nahe Ebingen) geboren ist und dort lebt. Es beschreibt ganz großartig die Mentalität der Menschen und auch mit welchen Widrigkeiten man auf der rauhen Alb zu kämpfen hatte.
Herzliche Grüße
Norbert
Lieber Norbert,
danke für Deine Rückmeldung, da freue ich mich sehr drüber! Und den Tipp mit dem Buch werde ich befolgen!
Herzliche Grüße,
Ava